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Prof. Norbert FröhlichProfessor für Komposition/Musiktheorie an der Staatl. Hochschule für Musik Trossingen:Diese CD "Neue Kinderlieder" ist in mehrfacher Weise bemerkenswert: Wolf-Dieter Rahn ist in Personalunion: Textdichter, Komponist der Melodien, Arrangeur, ausführender Sänger sowie Leiter der gesamten musikalischen Produktion. Auf jeder Ebene ist eine große Kunstfertigkeit zu bewundern: Die Texte könnten auch unabhängig von der Musik stehen und entfalten gleichwohl ihre eigene Klang- und Erlebnisaura; die Melodien sind einerseits völlig von der Diktion des Textes bestimmt, gehen gleichwohl ihre eigenen Wege, so dass ich sie für autonom halten möchte; Mit den Texten und Melodien sind gleichzeitig die Formen generiert: beachtlich, in wie viel Varianten das Grundmodell Strophe-Refrain zur Anwendung kommt und jedem "Stoff" völlig zwanglos neu angepasst wird! Die Arrangements bilden eine weitere kompositorische Ebene, auf der die acht Lieder zu einem Zyklus zusammenwachsen: da hat jedes seinen eigene Bildhaftigkeit, seinen eigenen Ton, eigenen Instrumente, seinen eigenen Sound, sein Genre: Matrosenlied, Blasmusikkapelle, Country-Song, Schlaflied u.v.a.m. - wobei die Ausführung der Arrangements, also das "Instrumentieren" der Arrangements im Tonstudio eine eigene Aufmerksamkeit verdient (ich würde gerne hier einen Bericht des Thomas Haditsch lesen, der "in unzählbaren Stunden" alles abgemischt hat: da ist offensichtlich nichts mechanisch, jedes Detail ist liebevoll gestaltet.) Es handelt sich alles in allem um real gespielte Musik, die teilweise von bis zu dreißig Musikern ausgeführt und aufgenommen wurde. Dadurch, dass es live gespielte Musik ist, behält die Musik ihren unwiderstehlich menschlichen Charme. Zudem hört man eine ganze Fülle von Details, die der Musik eine Tiefendimension geben, Details, die pointenhaft den musikalischen Text begleiten, veranschaulichen; teilweise Späßchen (wie das "Auuuu..." im Papierlied), die sozusagen aus der Kinderwelt in die Musik hineintransponiert werden. Oder das schönste "fadeout", das ich je in meinem Leben gehört habe am Ende des Lieds vom Schneemann. Das ist nicht nur klanglich "schön", sondern zugleich die sinnfälligste Umsetzung der inhaltlich-poetischen Idee: "Das müsst ihr gehört haben..." (...so beginnt ein schönes Gedicht von H.C.Artmann.) Die pädagogischen Hintergründe, die Wolf-Dieter Rahn im "booklet" beschreibt, bleiben bei allem tatsächlich hintergründig; es gibt an keiner Stelle den erhobenen Zeigefinger, alles ist auf schönste Weise mit der kindlichen Erlebniswelt verwoben; sogar in dem etwas dreist einherkommenden Schlaflied, dessen pädagogischer "Trick" (soll man sagen: Überrumpelung?) sofort durchschaubar ist: Die Stofftiere können ihre spielerische Aktivitäten erst entfalten, wenn´s Kindchen eingeschlafen ist. Das Schöne aber: die Aktivitäten sind geträumter Natur und logischerweise wird der Traum erst zu dem, was er ist, wenn´s Kindchen schläft. Und nachdem die ganze Kindertraumbildwelt dem "Kind im Einschlummern" vorüberzieht, heißt es in der letzten Strophe in unglaublich warmen Worten: "So jetzt möcht´ ich schlafen geh´n..." - und dann tauchen nochmals auf: der Bär, der Elefant, der Hund...- gebettet in Brahms´ schön-idyllischem und zugleich von Morgenröte utopisch durchsetztes Wiegenlied. Und in diesem konjunktivischem "möcht" höre ich ein anderes: das von George aus "Dies ist ein Lied für dich allein..." wo es heißt (in sozusagen konjunktivisch angewärmter Sprache): "Möcht es ein Lied, das rühre, sein." Haben wir da nicht noch Weberns wunderschöne Melisme im Ohr? Und die Thematik dieses Liedes: g - g - e - a - g -- g - e... aus dem Grundrepertoire kindlicher Necklieder genommen und augmentiert! Genau dieses Verfahren bindet wieder an Brahms: wie oft hören wir Brahms melodische Gestalten in der Augmentation und dadurch charakterverändert: Wolf-Dieter Rahn benutzt genau dieses wichtige kompositionstechnische Verfahren, um sozusagen eine konkrete Motivik an das unbewusst-Allgemeine anzuknüpfen; etwas, was Johann-Abraham-Peter Schultz (der Erfinder von "Der Mond ist aufgegangen") proklamiert: eine neue Melodie müsse klingen, als gäbe es sie schon... In dieser Weise - und das gehört zu den Liedern wesenhaft hinzu - handelt es sich um Kinderlieder, die wohl auch Erwachsene gern hören, teils, weil sie etwas von ihrer eigenen vergangenen Kindheit spüren können, teils, weil es Lieder sind, die den Kindern offenbar keinen fremden Willen aufzwingen wollen; teils aber auch, weil sie mit den Mitteln unserer tief wurzelnden musikalischen Tradition komponiert sind und diese nicht nur oberflächlich imitieren: genau das rührt an und weckt den Musiksinn. Jedenfalls war ich überrascht, als ich diese CD in meinen Analysestunden an der Hochschule vorgestellt habe: Man wollte immer die ganze CD hören, und es war seltsam, wie da lauter erwachsene Menschen andächtig sitzen und sich diese Kinderlieder anhören. Norbert Fröhlich (*1960 Essen) Für seine Arbeiten wurde er ausgezeichnet mit dem Folkwangpreis, dem Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen, dem WDR-Preis Forum Junger Komponisten und dem NDR-Musikpreis. 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